Unsere erste Karatenacht vom 24.- 25. Juni 2011

eine Betrachtung von André Kres

Im Prinzip bin ich da gewesen, weil ich es nicht geschafft hatte „nein“ zu sagen. Auch wenn die Gedanken immer noch darum kreisten, wie ich um die Zusage herumkam, bin ich gegen 22:30 Uhr zum Dojo gefahren.

Nach ein paar Scherzen gingen wir rein zum Umziehen. Ich hatte meine Kamera dabei um ein paar Fotos zu schießen. Bevor das Training begann, haben wir noch ein „vorher“ Bild aufgenommen.

Wenn man die Gesichter auf dem Bild betrachtet, haben alle noch ein Lächeln im Gesicht.

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Schaut man die anderen Bilder an, stellt man erstaunt fest, dass das den ganzen Abend/Nacht so war. Dieses besondere Training fing eigentlich eher normal an. Die Trainer Sabrina und Steve stellten sich vorne hin und machten die Begrüßung mit seiza und mokuso und der Begrüßung des shomen und der Trainer. Danach weihten sie uns in die erste Besonderheit des Trainings ein: Es sollte nicht gesprochen werden. Meine Augen klebten also wechselseitig an Sabrina und Steve. Die non-verbale Kommunikation zwischen den beiden klappte hervorragend, die non-verbale Kommunikation zur Trainingsgruppe war etwas holprig. Einige standen ganz schön auf dem Schlauch.

Das Ziel dieser Nacht war es offensichtlich die kanku dai (観空大) zu erlernen. Steve erklärte uns am Ende des Trainings, das es in den Himmel schauen heißt. So sieht das auch diese Webseite (http://www.karate-go-zen.de/Shotokan_Kata_Kanku.php). Allerdings sind wir mit diesen Erkenntnissen sehr lange im Dunkeln gelassen worden. Auch wurde uns das Zeitgefühl gestohlen, da Sabrina als ziemlich erste Aktion die Uhr verschwinden lassen hat. Wie gewohnt machte ich den beiden alles nach und gähnte dabei. Es war ja meine normale „ins Bett geh Zeit“. Ich war auch besonders müde, da ich aufgrund anderer Ereignisse in der letzten Nacht schlecht geschlafen habe und auch sonst nicht vorschlafen konnte. Dies hat im Prinzip bei mir auch noch nie funktioniert. Nach der Erwärmung wechselten die Trainer zum eigentlichen Trainingsprogramm und vollführten etwas, das wie Kata aussah. Mein Kopf versuchte zu erraten, was das sei. Ich wusste, dass es nicht die bassai dai war, die es im Wado Ryu auch gibt, sondern eine andere Kata, die ich kannte. Ich kam nicht drauf. Während ich so überlegte trottete mein Körper brav den Bewegungen der Trainer nach. In gewohnter Weise wiederholte sie es wieder und wieder. Irgendwie begannen die Bahnen für mich Formen anzunehmen. Es gab Punkte, die für mich schwer überschaubar waren, zum Beispiel war es mir sehr lange ein Rätsel, wie die Trainer zu dieser Kreisbewegung am Ende kamen.

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Ich bin ein Morgenmensch. Mein Gehirn weigerte sich, um diese Zeit etwas zu lernen. Irgendwie suchte ich immer mehr nach einem Weg den Trainern zu erklären, dass ich doch lieber in mein Bett wollte. Als ich dies später artikulierte, bot Sabrina mir bereitwillig eine Matte an –wenn es gar nicht mehr anders geht. Irgendwie hat sie nicht verstanden, dass ich mich nach meinem Bett sehnte, nicht nach einer Matte. Der Preis auf einer Matte zu schlafen und dafür aufzugeben war zu hoch. Also machte ich weiter.

Nachdem wir unzählige Runden den beiden nachgetrottet waren, teilte sie die Gruppe in zwei Teile. Zwei kareteka sollten irgendwas mit drei machen. Ein anderer karateka und ich irgendwas mit fünf. Da mein Partner höher graduiert war als ich, war es seine Aufgabe zu verstehen, was die Trainer damit meinten. Ich nutzte die Zeit und döste ein wenig. Nach einer Weile war klar dass gemeint war, wir sollten die Kata nun allein laufen. Die andere Gruppe dreimal und wir fünfmal. Also trottete ich nun meinem Partner hinterher. Nachdem dieser offensichtlich meinte die fünf Wiederholungen geschafft zu haben, stellte er sich im yoi hin. Ich tat es ebenso und nutzte die Gelegenheit um im Stehen etwas zu schlafen. Ich fühlte mich hundemüde. Ich war gerade so schön eingedöst, da schubst mich irgendjemand. Langsam komme ich wieder zurück und sehe Sabrina vor mir. Als nächstes sollte jeder für sich üben. Mann, waren die Trainer optimistisch! Mit dieser Lernblockade im Kopf eine so komplexe Kata zu so einer Unzeit in einer so kurzen Zeit wenigsten vom Ablauf her zu beherrschen?! Die andere Weißgurtträgerin stand ratlos in ihrer Ecke. Die Trainer sagten ihr, sie solle das üben, an was sie sich erinnern kann, und wenn es nur Einzeltechniken sind. Ich stolperte also dann mal los. Ich kam erstaunlich weit – immerhin bis zum ersten nukite zuki. Ich hatte noch eine große Auswahl an anderen Fragmenten in meinem Kopf, aber was davon kam als nächstes und vor allem, wie kam ich dahin? Den einzigen Übergang, den ich bisher in dem Zusammenhang im BSK gelernt hatte, war zu hidari shotu uke aus kokutsu dachi. Ich schaute also meinem vorigen Partner zu, wie er an der Stelle weitermacht, und sah diese Wendung. Ich hatte also zwei Puzzleteile zusammen. Allerdings hing ich dann wieder am Ende der nächsten Bahn, nachdem ich mich zweimal wie ein Indianer hingestellt hatte. Also zurück zur ersten Strategie und schauen, wie die Anderen an dieser Stelle weitermachen. Das nächste Stück brachte ich auf diese Art und Weise auch noch an meine Rumpf-Kata. Bevor ich allerdings das ganze Puzzle zusammensetzen konnte, war die erste Runde herum.

Nun kam etwas, das ich sehr gut kann – meditieren. Ich setzte mich auf meine Unterschenkel und Füße und schaltete meinen Körper aus. Wichtig beim Meditieren ist es, das Aufwachsignal zu kennen, das hatten die Trainer vergessen zu kommunizieren. Egal, ich war so müde, dass ich jede Form der Entspannung dankbar annahm und mich umgehend ins Nirwana beamte. Nach einer viel zu kurzen Zeit rief da irgendwas aus der Ferne. Es war Sabrina, die uns für meine Verhältnisse viel zu sachte zum Zurückkommen aufforderte. Irgendwie hatet es diese Nachricht auch bis in mein Unterbewusstsein geschafft und ich kam zurück.

Danach gab es die erste Pause. Ich holte meinen Fotoapparat heraus, um die Stimmung einzufangen. Jeder machte sich über sein Picknick her und freute sich darüber, dass alles bisher so gut geklappt hatte. Sabrina und Steve freuten sich, dass sie so gut im Zeitplan lagen. Wie spät es allerdings tatsächlich war, sagten sie uns nicht. Steve gab nur als Hinweis, dass es schon Sonnabend sei. Die Gespräche rankten sich um die Überlebensstrategie für die Nacht und ob man die Cola jetzt schon zu Gänze trinken dürfe oder nicht.

Vom langen seiza prickelten die Füße, als ob man auf Stecknadeln laufen würde. Andere standen etwas abseits und kämpften mit der Müdigkeit. Was das Schlafdefizit bei mir betraf, fühlte ich mich erstaunlich ausgeruht nach der Meditation. Zen-Mönche nutzen diese Technik, um weniger Schlaf zu brauchen, damit sie mehr Zeit zum trainieren haben. Es scheint in einem gewissen Rahmen tatsächlich zu funktionieren. Ans Ende dieser Runde haben die Trainer die Partnerübungen gestellt, um uns den Sinn der Kata näher zu bringen. Mein Gehirn weigerte sich noch immer vehement zu kooperieren. Andre karateka waren auch sichtlich abwesend.Irgendwie haben wir das Ganze leidlich hingebracht. Die Trainer und einige höher graduierte karateka schien die späte Stunde nicht so zu belasten.

Die nächste Runde Meditation stand auf dem Programm. Während ich so langsam weg glitt, hörte ich leises Glockenschlagen und Gekicher. Die Kirchturmuhr muss sich verzählt haben, dachte ich noch bei mir. Es kann nicht erst 3 Uhr sein. Einige Zeit später kamen ein paar Jugendliche offensichtlich von der Disko heim und bemerkten uns im Dojo. Einer meinte zu dem anderen „Guck mal, die schlafen hier!“ –„Nein, die meditieren!“, korrigiert ihn sein Freund. Plötzlich klopfte einer dieser Jugendlichen an das Fenster. Ich bin einfach zu träge, um darauf zu reagieren. Nach einer Weile kommen sie wieder und tuscheln vor dem Fenster. Ich verharre unbeweglich in meiner seiza Stellung. Als wieder Ruhe eingekehrt war, höre ich die Stimme von Sabrina, die uns wieder zurückholen möchte. Diesmal hatte ich mich darauf eingestellt so geweckt zu werden. Meine Füße sind wieder quasi blutleer und prickelten.

Wieder finden wir uns zu einer Pause ein. Das Thema bei dieser Pause waren die nächtlichen Ruhestörer. Es war gut, dass wir nicht reagiert haben, da wir dadurch recht schnell uninteressant geworden sind.

Nach dieser Pause geht es in die dritte Runde in dieser Nacht. Diesmal ist das Thema kakie und qigong. Es fällt mir nicht sonderlich schwer, allerdings kann ich nur noch mechanisch mitmachen. Mein Gehirn ist schlafen gegangen. Als dann im zweiten Teil komplexe renzoku waza Übungen gemacht werden, kann ich nur lächeln. Meine Partnerin hatte sichtlich Spaß mit mir zu üben. Diese Runde wird mit qigong Übungen abgeschlossen. Sie wirkten sehr entspannend.

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Eine weitere Mediation gibt es nicht –nur noch eine Pause. Das Ende fest im Auge geht es weiter. Wir ziehen uns um und gehen nach draußen. Der Morgen dämmert bereits. Wir laufen eine ganze Weile bis wir zu einer Wiese kommen. Das Gras stand dort etwas hoch, sodass wir sehr schnell nasse Füße bekommen würden, wenn wir da weitermachen würden. Wir suchen uns eine Wiese, die gemäht war. Dort laufen wir wieder kanku dai. Mittlerweile ist der Ablauf auch bei mir angekommen. Eine Wiederholung wird gefolgt von der nächsten. Nach einer Weile wird mir klar, worauf Steve und Sabrina da warten. Steve erklärt, dass kanku dai „in den Himmel schauen“ heißt, er wartet auf den Sonnenaufgang. Mit den Hintergedanken, dass ich lieber bald mein Bett sehen möchte, also noch weitere 200 mal die kanku dai zu laufen, konnte ich mich nicht zurückhalten und meinte zu Steve, dass es bewölkt sei und man die Sonne eventuell nicht sehe könnte. Wir entschieden uns zurück zu gehen. Als wir die Häuser fast erreicht haben, erhebt sich hinter uns eine wunderschöne Sonne. Ich lag wohl doch daneben.

Auch wenn ich es am Anfang für eine eher dumme Idee gehalten habe, war es eine sehr schöne Erfahrung und ich muss sagen, dass die Nacht von Sabrina und Steve (und wer auch sonst noch mitgeholfen hat) gut geplant war! Ich fühlte mich wie nach meinem ersten Halbmarathon. Ich war in gewisser Weise stolz, es geschafft zu haben – es immer noch zu schaffen.

Auch ohne das Nachherbild (das haben wir irgendwie vergessen) –wir lächelten immer noch.