Das Kangeiko ist für mich die erste Möglichkeit im neuen Jahr um gemeinsam mit anderen Karateka zu üben. Daher freut es mich sehr, dass ich nun schon zum dritten Mal dabei war und gemeinsam mit meinen Freunden, dôhai und senpai in ein neues Kampfkunstjahr starten konnte.
Während der Trainingseinheiten haben wir uns in diesem Jahr mit tai sabaki, der (Ganz-)Körperbewegung beschäftigt. Diese kann man sowohl durch das ständige Wiederholen einer hitori gata in der waffenlosen Kunst, wie zum Beispiel der aragaki seisan, als auch durch Einzel- und Partnerformen im yamane ryû schulen. Besonders beim Umgang mit dem bô merkt man ziemlich schnell, ob der Körper die Bewegung des Langstocks unterstützt oder ihn in seinem Fluss behindert. Dadurch bekommt man ein direktes Feedback und kann sicher sein, dass irgendetwas nicht stimmt, wenn es an der einen oder anderen Stelle im wahrsten Sinne des Wortes „nicht ganz rund“ läuft. Ich selbst neige oft dazu den bô kontrollieren zu wollen, anstatt ihm den Freiraum zu geben, den er braucht. Denn wie so oft im Leben ist der Mittelweg zwischen zwei Extremen, in diesem Fall Kontrolle und Freiraum, wohl der, der am ehesten zum Ziel führt. Dies gilt auch für die Motivation, mit der man übt. Meist gelingt die Ausführung einer Technik erst dann, wenn man seinen Übereifer und Ehrgeiz beiseitegelegt hat und die Übung mit einem entspannten und lockeren Geist angeht, wobei wiederum zu viel Lockerheit und zu wenig Ehrgeiz auf Dauer ebenfalls nicht befriedigend sind.
Neben der körperlichen Übung im Freien gab es an diesem Wochenende auch wieder zahlreiche Möglichkeiten um sich ohne großen Zeitdruck zu unterhalten und auszutauschen. So tauchte, initiiert durch Felix‘ Vortrag über die 10-Punkte-Kata-
Evolutionstheorie von Sensei McCarthy, zum Beispiel die Frage auf, was denn zuerst dagewesen sei: die Kata (im Sinne einer festgelegten Abfolge von Bewegungen und Techniken, die von einer Einzelperson ausgeführt werden) oder der Zweikampf?
Kann man durch das Üben von Kata lernen, sich selbst zu verteidigen? Oder gibt es andere Gründe, aus denen wir Soloformen laufen?
Für ähnlich viel Diskussionsstoff sorgte ein Rollenspiel, in dem Enrico als Übungsleiter vor der Aufgabe stand, einem halben Dutzend mehr oder weniger disziplinierter Kinder in knapp 20 Minuten ein Thema seiner Wahl, in diesem Fall einen Auszug aus heishu waza, beizubringen. Ich selbst habe dabei ein Kind verkörpert, das technisch weder besonders positiv noch negativ auffällt, jedoch nie richtig ruhig halten kann und ständig alles infrage stellt. Es ist wirklich schwierig umgeben von Freunden, die man mittlerweile jahrelang kennt, diverse „normale“ zwischenmenschliche Beziehungen auszublenden und durchweg in seiner Rolle zu verharren. Daher konnte ich trotz aller Anstrengungen an der ein oder anderen Stelle ein Schmunzeln auch einfach nicht unterdrücken. Fakt ist, dass es zahlreiche Methoden und Vorgehensweisen gibt um im Kindertraining Wissen zu vermitteln, man jedoch niemandem eine Musterlösung an die Hand geben kann. Es kommt immer darauf an, welche Charaktere man vor sich stehen hat, welchen technischen Schwerpunkt man setzt, für welche Lehrmethode man sich entscheidet und – ganz banal – in welcher Tagesform sich die beteiligten Personen befinden. Jeder der schon einmal unterrichtet hat weiß, dass man sich vorher einen genauen Ablaufplan machen und sämtliche Eventualitäten einplanen kann, es nachher aber dennoch immer anders kommt. Ein eindeutiges Richtig und Falsch gibt es demnach nicht, was die ganze Sache einerseits zu einer ziemlich komplexen Herausforderung, andererseits aber auch zu einer äußerst spannenden Sache machen kann. Entscheidend ist die anschließende Reflexion, die dazu führen soll, dass man gewisse Entscheidungen bewusster trifft und sich im Laufe der Zeit immer ein Stückchen weiter entwickeln kann.
Ich habe die Tage in Neukirch auch dieses Jahr wieder sehr genossen und freue mich auf alle weiteren Übungsmöglichkeiten, egal ob physischer oder theoretischer Art, die ich gemeinsam mit Hendrik und den anderen Furyuka 2014 bestreiten werde.